Binge-Eating ist eine psychische Erkrankung und vor Bulimie und Magersucht die häufigste Essstörung in Deutschland. Unter den Heißhungerattacken leiden Frauen wie Männer gleichermaßen, wenn auch Frauen etwas häufiger betroffen sind. Viele verheimlichen ihr unkontrolliertes Essverhalten - dabei gibt es Wege, die Essstörung zu stoppen.

 

Was ist Binge-Eating?

Binge-Eating ist eine ernstzunehmende Essstörung, bei der die Betroffenen innerhalb kurzer Zeit übermäßig viel Nahrung zu sich nehmen. Die Heißhungerattacken treten manchmal plötzlich ganz ohne echten Hunger auf, können jedoch auch längere Zeit ausbleiben. Meldet sich dieser innere, unstillbare Hunger, eskaliert die Essensaufnahme zum richtigen Gelage.

Daher hat die Essstörung auch ihren Namen: „binge“ kommt aus dem Englischen und bedeutet „Gelage“ oder „Orgie“. Nach diesem Essgelage fühlen sich die Betroffenen meist verzweifelt, weil sie komplett die Kontrolle über ihr Essverhalten verloren haben. Viele ekeln sich sogar vor sich selbst und den großen Mengen, die sie gerade verzehrt haben. Hinzu kommen das unangenehme Völlegefühl und die Scham.

Anders als die Magersucht tritt eine Binge-Eating-Störung (BES) meist erst in der späteren Jugend oder im jungen Erwachsenenalter auf. Doch auch bei Erwachsenen können die exzessiven Hungerattacken erstmals vorkommen. Bei vielen dauert es Jahrzehnte, bis sie endlich erkennen, dass ihren Essanfällen eine ernstzunehmende psychische Erkrankung zugrunde liegt.

Das liegt zum einen daran, dass BES erst seit wenigen Jahren öffentlich thematisiert wird. Zum anderen denken viele Betroffene, sie müssten sich beim Essen einfach nur zusammenreißen, dann würden sie die Exzesse in den Griff kriegen.

Wie äußert sich Binge-Eating?

Binge-Eating äußert sich durch Heißhungerattacken, die durch exzessives Essen gestillt werden. Wer unter der Essstörung leidet, nimmt unkontrolliert innerhalb kurzer Zeit große Mengen an Nahrung zu sich – weit mehr, als gesunde Menschen in demselben Zeitraum zu einer Mahlzeit essen würden.

Bei diesen Essattacken wird jedes Sättigungsgefühl ausgeschaltet, der natürliche Impuls des Sattseins bleibt trotz großer Mengen an Nahrung aus. Woran Du erkennst, dass Du unter einer Binge-Eating-Störung leidest:

  • Essen ist Dein bester Freund und spendet Dir Trost, wenn es Dir nicht gut geht. Das sogenannte „Emotionale Essen“ hilft Dir über negative Gefühle hinweg.
  • Du isst nicht, weil Du Hunger hast, sondern nimmst wahllos innerhalb kurzer Zeit große Mengen zu Dir.
  • Du liebst Essen und genießt es, möglichst viel von den leckeren Sachen zu verzehren. Doch nach dem Essanfall meldet sich das schlechte Gewissen.
  • Du zelebrierst Deine Essgelage immer alleine und heimlich. Andere sollen nichts davon mitbekommen.

Mit wahrem Essensgenuss haben diese Essgelage nichts zu tun. Im Gegensatz zur Bulimie versuchen die Betroffenen anschließend jedoch nicht, die Nahrung durch Erbrechen oder Abführen wieder loszuwerden, um eine Gewichtszunahme zu vermeiden. Da sie während der Essanfälle viele Kalorien zu sich nehmen, leiden etwa 90 Prozent der Betroffenen unter Übergewicht oder sogar Adipositas.

Der ständige Kampf gegen überschüssige Kilos wird durch die Binge-Eating-Attacken immer wieder zunichte gemacht, was zu großer Unzufriedenheit führt und übergewichtsbedingte Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes zur Folge haben kann.

 

Was triggert Binge-Eating?

Je nach Ursache werden die Binge-Eating-Anfälle durch verschiedene Auslöser getriggert. Meist treten sie in Krisensituationen auf, durch zu viel Stress, Einsamkeit, Langeweile, Mobbing, Trauer, traumatische Erlebnisse, Wut oder einen Streit. Negative Gefühle führen zu Emotionalem Essen. Denn die Nahrungsmittel geben keine Widerworte, dafür Glücksgefühle – zumindest während des Essens. Anschließend folgt das emotionale Tief.

Binge-Eating hat meist psychische Ursachen wie Depressionen oder Angststörungen, denen Du mit therapeutischer Hilfe auf den Grund gehen solltest. Denn BES gehört zu den multifaktoriellen Störungen. Das heißt, die Essstörung entsteht durch das Zusammenwirken verschiedener Faktoren wie

  • geringes Selbstwertgefühl
  • Übergewicht in der Kindheit
  • hoher BMI (Body-Mass-Index)
  • negatives Körperbild
  • abwertende Kommentare von Familienmitgliedern oder Freunden über die Figur
  • häufiges Diät-Halten
  • Depressionen
  • Ängste
  • Scheidung der Eltern
  • ständige Konflikte mit den Eltern oder einem Elternteil
  • traumatische Erlebnisse

Es gibt sogar eine gewisse Veranlagung für Essstörungen, die in der Familie vererbt werden kann. Familienmitglieder mit gestörtem Essverhalten dienen oft als Vorbilder.

Der Heißhunger auf Essen ist oft ein Hunger nach Liebe und Aufmerksamkeit. Was Dir Deine Mitmenschen nicht geben können, findest Du für einen kurzen Moment in Schokolade, Pizza, Chips und Torte. Denn selten greifen BES-Betroffene während einer Attacke zu gesunden Lebensmitteln wie Gemüse.

 

Was kann ich gegen Binge-Eating tun?

Falls Du ebenfalls unter Binge-Eating leidest, kannst Du einiges tun, um die Heißhungerattacken loszuwerden. Zuerst solltest Du Dir eingestehen, dass Du eine Essstörung hast. Denn viele Menschen mit BES verheimlichen ihre Ess-Orgien aus Scham über den Kontrollverlust.

Vielen wird sogar erst nach Jahrzehnten bewusst, dass sie bereits seit der Jugend immer wieder diese Essanfälle haben. Außerdem solltest Du akzeptieren, dass Dein Essverhalten eine psychische Erkrankung ist, aus der Dir eine Psychotherapie heraushelfen kann.

Bewährt hat sich die Kognitive Verhaltenstherapie, die im Grunde auf drei Säulen aufbaut:
 

1. Trigger erkennen

Mit therapeutischer Hilfe gehst Du den Triggern auf die Spur und lernst, sie zu vermeiden. Wann hast Du das übermäßige Bedürfnis nach Essen? In welchen Situationen treten die Heißhungerattacken auf? Welche negativen Emotionen stecken dahinter? Hast Du Deine Trigger erkannt, lernst Du durch die Therapie, wie Du mit negativen Emotionen anders umgehen kannst.


2. Essverhalten normalisieren

Um ein normales Essverhalten zu erlangen, analysierst Du Dein bisheriges Essverhalten und lernst, regelmäßige, vollwertige Mahlzeiten zu Dir zu nehmen.


3. Positives Körperbild stärken

Die meisten Betroffenen sind mit ihrem Körper unzufrieden. Ein Teil der Therapie besteht deshalb darin, ein positives Körperbild aufzubauen und sich vom Schlankheitsideal der Gesellschaft zu verabschieden. Ziel ist es, den eigenen Körper zu akzeptieren und zu lieben, wie er ist.
 

Ebenfalls hilfreich kann eine Interpersonelle Psychotherapie sein, um die zwischenmenschlichen Beziehungen zu verbessern. In einer Selbsthilfegruppe ist der Austausch mit Gleichgesinnten möglich. Leidest Du unter Übergewicht, ist es ebenfalls Teil der Behandlung, das Gewicht zu reduzieren und die Selbstfürsorge und das Selbstbewusstsein zu stärken.

In 50 Prozent der Fälle kann eine Therapie die Binge-Eating-Störung heilen und die Essanfälle dauerhaft stoppen. Bei den anderen treten die Anfälle deutlich seltener auf oder fallen weniger extrem aus. Viele leben nach der Therapie sogar lange Zeit ohne Essattacken und erleiden nur in ausgesprochenen Krisensituationen einen Rückfall.

In jedem Fall solltest Du also Deine Scham ablegen und Dir therapeutische Hilfe suchen, um dem Heißhunger ein Ende zu setzen.

 

Was unterscheidet Binge-Eating von Überessen?

Im Gegensatz zum gelegentlichen Überessen ist Binge-Eating eine psychische Erkrankung. Betroffene verlieren völlig die Kontrolle darüber, welche Mengen sie innerhalb kurzer Zeit verschlingen. Beim Überessen wird hingegen zu einzelnen Mahlzeiten mehr als sonst gegessen, jedoch ohne Kontrollverlust.

Jeder kennt das von Festtagen oder Büffets, wenn die Augen größer sind als der Magen. Kommt das nur gelegentlich vor und nur zu besonderen Anlässen, besteht kein Grund zur Besorgnis. Ein regelmäßiges Überessen deutet jedoch ebenfalls auf ein gestörtes Essverhalten hin.