Dass manche Erlebnisse ein Trauma auslösen können, ist allgemein bekannt. Dass Traumata auch vererbt werden können, wissen bisher die wenigsten. Haben unsere Eltern oder Großeltern Schreckliches erlebt, kann sich das auf die weiteren Generationen übertragen und psychische Probleme zur Folge haben.

 

Was sind transgenerationale Traumata?

Transgenerationale Traumata sind Traumata oder Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS), die über die Gene an die Nachkommen weitergegeben werden. Als traumatische Erlebnisse gelten absolute Ausnahmesituationen, die Körper, Geist und Seele stark belasten und meist lebensbedrohlich sind oder einen plötzlichen massiven Einschnitt in das bisherige Leben bedeuten.

Durch die übermäßige Stressreaktion des Körpers und die psychische Belastung entstehen Veränderungen an bestimmten Genen, die an die Kinder und Enkel übertragen werden und dort zu psychischen Problemen führen können, obwohl die Kinder und Enkel selbst keinerlei traumatische Erfahrungen gemacht haben.

Was auf den ersten Blick sehr esoterisch klingt, ist inzwischen durch die Forschung der Schweizer Neurowissenschaftlerin Isabelle Mansuy wissenschaftlich belegt und kann für viele chronische Erkrankungen ohne erklärbare Ursache eine mögliche Lösung bieten.

 

Wie kann ein Trauma über Generationen weitergegeben werden?

Forschungen kamen zu dem Ergebnis, dass ein Trauma an die nächsten Generationen vererbt werden kann. Sogar bis zu vier oder gar fünf Generationen später können die Nachkommen unter den Auswirkungen von Traumata leiden, die ihre Urgroßeltern erlebt haben.

Erstmals wurde die Vererbbarkeit bei Kindern und Enkelkindern von Überlebenden des Holocausts im Zweiten Weltkrieg untersucht. Die traumatischen Erlebnisse während des Krieges und in den Konzentrationslagern wie Gewalt, Todesangst, Flucht oder Vergewaltigung hinterließen nicht nur Spuren an den eigenen Seelen, sondern wurden durch epigenetische Vererbung an die Kinder weitergegeben. Traumabewältigung fand damals nicht statt. Viele wollten einfach vergessen und verdrängen, was geschehen war. Über die schrecklichen Erfahrungen wurde nicht geredet, sondern geschwiegen.

Untersuchungen an Mäusen belegen genetische Veränderungen durch Stress und Auffälligkeiten am Verhalten, auch wenn die Jungtiere mit den Elterntieren keinen Kontakt haben und nicht deren Verhalten übernehmen können.

Solche Veränderungen an bestimmten Genen ließen sich auch bei den Kindern von Holocaust-Überlebenden nachweisen. Im Rückschluss bedeutet das, dass selbst Menschen mit einem behüteten, stressfreien Leben durch die traumatischen Erlebnisse der Vorfahren unter psychischen Erkrankungen oder einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden können – völlig unabhängig von erlerntem Verhalten. Diese Vererbung eines Traumas wird als transgenerationale Traumatisierung bezeichnet.

Es müssen nicht nur die Schrecken des Krieges sein. Genauso kann jedes unverarbeitete Trauma wie ein Unfall, sexualisierte Gewalt, eine Fehlgeburt, eine Trennung oder eine Naturkatastrophe durch Epigenetik auf weitere Generationen übertragen werden und dort das emotionale Gleichgewicht aus der Balance bringen.
 

 

Wie können sich transgenerationale Traumata äußern?

Transgenerationale Traumata können sich durch dieselben Symptome äußern wie ein selbst erlebtes Trauma. Manche Betroffenen leiden sogar unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung, ohne jemals selbst ein traumatisches Erlebnis gehabt zu haben. Mögliche Symptome sind:

  • Traurigkeit
  • Ängste
  • Hilflosigkeit
  • grundlose Wut
  • Schuldgefühle
  • Schamgefühle
  • innere Leere
  • Albträume
  • durch Trigger ausgelöste Emotionen
  • Depressionen

Betroffene fühlen sich ihren Emotionen hilflos ausgesetzt, da sie nicht zur eigenen Lebenssituation und zum eigenen Weltbild passen. Treten in einem behüteten Umfeld ohne jeden nachvollziehbaren Grund negative Gefühle auf, könnte ein vererbtes Trauma die Ursache sein.

Auch eine andauernde tiefe Traurigkeit oder eine unstillbare Sehnsucht nach etwas Unbekanntem können von den Vorfahren vererbt worden sein. So spüren manche die Trauer der Großmutter über den Verlust eines geliebten Menschen oder fühlen sich nirgends richtig angekommen, weil die Eltern im Krieg ständig auf der Flucht waren.

Oft sind es sogar körperliche Beschwerden, die keinen schulmedizinisch erklärbaren Auslöser haben und als psychosomatische Erkrankungen gelten:

  • Migräne
  • Tinnitus
  • Gedächtnisprobleme
  • ständige Hautausschläge
  • Rückenschmerzen

Betroffene verzweifeln oft an den chronischen Beschwerden, führen sie jedoch nicht auf Traumata zurück, die ihre Eltern oder Großeltern erlebt haben. Hier eröffnen sich durch die Erkenntnisse der Epigenetik-Forschung neue Therapiemöglichkeiten.

 

Wie kann ich ein transgenerationales Trauma überwinden?

Da vielen Betroffenen lange nicht bewusst ist, dass sie unter einem vererbten Trauma leiden, hilft meist nur eine Therapie, um die transgenerationale Traumatisierung zu überwinden. Denn zuerst muss ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass die eigenen chronischen und psychischen Probleme ihre Wurzeln in den unverarbeiteten Erlebnissen früherer Generationen haben können.

Verschiedene Methoden wie Genogramm-Arbeit oder Familienaufstellungen helfen dabei, die Trigger zu verstehen, die Familiengeschichte aufzuarbeiten und damit abzuschließen. Gespräche mit den Eltern oder Großeltern bringen oft die totgeschwiegenen Erlebnisse ans Licht und liefern endlich eine Erklärung für die eigenen Emotionen.

Zuerst sollte jedoch therapeutisch ausgeschlossen werden, dass nicht doch ein selbsterlebtes Trauma, beispielsweise aus der Zeit im Mutterleib oder kurz nach der Geburt, dahintersteckt.

Die Ergebnisse aus der Epigenetik-Forschung belegen, wie wichtig es ist, ein erlebtes Trauma mit professioneller Unterstützung zu verarbeiten. Wer extreme Stresssituationen lange Zeit verdrängt, gibt diese Belastung über Generationen an die Nachkommen weiter. Dabei lässt sich Negatives durchaus wieder umpolen: Ein positives Umfeld und schöne Lebenserfahrungen wirken sich ebenfalls auf die Gene aus und werden genauso an die Kinder weitergegeben.

Ein vererbtes Trauma lässt sich durch das eigene Verhalten beeinflussen: Wenig Stress, eine gesunde Ernährung, viel Bewegung, soziale Kontakte, schöne Erlebnisse, Zufriedenheit und Dankbarkeit sind wichtige Faktoren, um die negativen Gefühle in positive zu verwandeln.